Öffentliche Briefe

Offener Brief vom 25.01.2011

Sehr geehrte Damen und Herren!

Einige von Ihnen haben schon von unserer Hausgemeinschaft, zukünftig Hausprojekt gehört, siehe: "öffentlicher Brief" an Herrn Wowereit vom 17.11.2010.
Unsere  "Entmietung", unser Umwandlungsprozess in Einzeleigentum in "unserem Haus" geht weiter, seit dem Eigentümerwechsel am 1.9.2010 passiert bei uns:

- Kündigungen werden ausgesprochen oder angedroht
- auch andere Mietparteien stecken in rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Hausverwaltung, betreffs Mängel
- drei Wohnungen stehen seit Jahren leer, diese, aber auch vermietete Wohnungen werden auf dem Immobilienmarkt zum Verkauf angeboten (dort steht u.a. Eigenbedarf ist möglich)
- es gibt Angebote des Eigentümers an manche Mieter, nennen Sie es Rauskaufen, Abfinden oder...?
- Einige sind schon entmutigt und erwägen Auszug
- die Eigentümer haben eine Teilungserklärung notariell beglaubigen lassen, liegt diese schon beim Grundbuchamt vor?
- der Makler arbeitet bisher ohne Vollmacht und im Umgang mit den Mietern grenzwertig, auch hier gibt es schon eine rechtliche Auseinandersetzung mit einer Mieterin
- Kaufinteressierte schauen sich jedes Wochenende Wohnungen und Dachgeschoßrohlinge an
- Anträge auf Abgeschlossenheitserklärung und Baumaßnahmen sind bei Bezirk gestellt, ein Baugerüst in der kältesten Jahreszeit aufgebaut, Wann genau welche Arbeiten angegangen werden sollen, ist bisher uns
  nicht mitgeteilt worden
- keine oder nur mangelhafte Wartung des Hauses und der Wohnungen, auf Mängelanzeige ebenso unzureichende Aufgabenerfüllung seitens der Hausverwaltung ( und das nicht erst mit der neuen Hausverwaltung, sondern seit dem Verkauf des Hauses 2004 von der öffentlichen in die private Hand mit den Vorgängern ebenso)
               
Wer mehr und genauere Informationen über diese Umwandlungsprozesse haben möchte, möge bitte Kontakt über obige Adresse mit uns aufnehmen.

Wir werden immer wieder daran erinnert, uns an den "Haus- und Mieterfrieden" zu halten, aber in welcher Form und Intensität gilt solch eine Forderung auch für Eigentümer, Hausverwaltung, Makler?

Zu dem Stichwort Milieuschutz und den oft zu hörenden Bekenntnissen aller politischen Parteien, dass es "Mietererhaltende Maßnahmen" für viele Berliner Bezirke geben muss, erlauben wir uns ein Zitat des Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, auf welches sich auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung beruft:
" Das Anliegen der Verordnung ( §172 Abs.1 Nr2 Baugesetzbuch-Milieuschutzgebiet) besteht darin, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus städtebaulichen Gründen zu erhalten. Das bedeutet, dass Bewohner nicht durch Luxusmodernisierungen und die damit einhergehenden Mieterhöhungen aus ihrem Wohngebiet verdrängt werden sollen bzw. dass nur "Besserverdienende" in der Lage sind, dort eine Wohnung zu mieten. Damit sollen zugleich die Ergebnisse der rund 25jährigen Sanierungstätigkeit in diesem Gebiet langfristig gesichert werden. Die Sanierung zielte darauf ab, durch den Einsatz öffentlicher Mittel zeitgemäße Wohnverhältnisse zu angemessenen Mieten zu schaffen, die Infrastruktur den Bedürfnissen der Bewohner anzupassen sowie das Prinzip "Wohnen und Arbeiten im Kiez" zu fördern"   Zitat ende

Wir fragen uns und Sie, was nützt eine Milieuschutzsatzung, wenn bis zu dem Zeitpunkt, an dem diese greifen könnte, wir durch oben erwähnte Umwandlungsprozesse alle aus dem Haus "gegangen wurden"?
Bundesratsinitiativen gegen Mieterhöhungen, wenn sie überhaupt greifen sollten, wären "ein, maximal zwei Tropfen auf dem heißen Stein", Erklärungen, dass es in Berlin keine Wohnungsnot gäbe, verkennen die Realitäten vieler in Berlin lebender Menschen, die nicht in jedem Strom der Gentrifizierung von einem Stadtteil in einen anderen geschwemmt werden wollen.
Werte Damen und Herren, sie bekommen genauso wie viele Andere in dieser  Stadt mit: "Wir" werden verdrängt. Und dieser Verdrängungsprozess ist vielschichtig, aber er ist da! Existent, real für viele Menschen, und akut in unserem Haus.

Wir in der Willibald-Alexisstr.34 wollen hier wohnen bleiben und nicht nur das. Wir wollen das Haus dem Spekulationsmarkt entziehen und gemeinsames Wohnen organisieren und darüber hinaus ökologisch und sozial sanieren und somit auch im Sinne der oben  zitierten Milieuschutzsatzung  "kieznah" erhalten. Zu diesem Zwecke haben wir einen Verein gegründet und eine rechtliche Vertretung engagiert.
Unser Vereinsanwalt wird die nächsten Tage die Eigentümer und die Hausverwaltung von unserem Anliegen in Kenntnis setzen.
Seine nächste Aufgabe ist es den Grundlagen der Verkaufskette nachzuspüren, die uns im Jahre 2004 von der GEWOBAG auf den freien Immobilienmarkt und dort im September 2010 zum aktuellen Neubesitzer gebracht hat. Wir möchten gerne überprüfen, ob die anno 2004 vereinbarten Verkaufsklauseln mit dem  „8-Punkte-Programm“   („ Grundsätze der Wohnraumprivatisierung in Berlin“) mit unseren Mietvertragsergänzungen harmonisieren und wie sie beim Weiterverkauf berücksichtigt wurden.

Für dieses Anliegen  suchen wir auch Ihre, also die aktive Unterstützung der politisch Verantwortlichen auf Bezirks- und Stadtebene.
Im Chor der  Forderungen nach Rekommunalisierung des Wohnungswesens,  (Wohnen, Energie, Wasser, Nahrung sind Grundrechte und dürfen nicht dem privatwirtschaftlichen Gewinnstreben unterworfen werden) sind wir nur eine Stimme, aber eben auch eine von Vielen.
Um unser Anliegen hörbar zu machen, um dem Eigentümer mit einem tragfähigen Konzept zunächst zum „Erwerb“, darüber hinaus aber auch für eine Sanierung entgegen zu treten, brauchen wir Zeit und Perspektive.
Können Sie uns amtlicherseits hierbei unterstützen, bevor weitere irreversible Schritte auf dem Weg der Umwandlung gemacht sind. Besteht die Möglichkeit, zeitnah, bei gegebenen Voraussetzungen, einen "runden Tisch" einzurichten?
Wir hoffen auf eine ermutigende und stärkende Antwort

Mit freundlichen Grüßen
für die
Bewohnerinnen und Bewohner der WAX 34, organisiert im Verein in Gründung:
"WAX 34 Hausprojekt"



Öffentlicher Brief vom 17.11.2010

Sehr geehrter Herr Wowereit,

Wir wollen uns kurz vorstellen. Wir sind Bewohnerinnen und Bewohner der Willibald-Alexis-Str.34 im Chamisso-Kiez in Kreuzberg. Einige von uns leben schon viele Jahre, andere schon einige oder auch wenige Jahre in unserem Haus. Wir sind alt, jünger und ganz jung, Alleinstehende, WG`s und Familien gemischt und verstehen uns als eine zusammengewachsene Hausgemeinschaft. Wir bestellen uns unsere Kohlen zusammen, plaudern gerne miteinander, es gibt ab und zu ein Hausfrühstück und streiten tun wir halt auch hier und da mal. Wir leben gerne hier in unserem Haus und fühlen uns unserem Kiez sehr verbunden. Darüberhinaus sind wir auch ziemlich sexy und noch arm dazu, sprich wir alle verzeichnen keine allzu hohen Einkommen.
Und wir haben ein großes Problem, genau wie die Bewohner in der Arndtstraße 38, wie die in der Graefestraße 80 und wie viele andere Menschen in unserer Stadt auch. Aber das dürfte in diesen Monaten sich so ziemlich in Berlin rumgesprochen haben: Verdrängung von Menschen raus aus ihren Kiezen durch unverschämte Mieterhöhungen, bewusstem  Leerstand von Wohnungen, Knappheit von bezahlbarem Wohnraum, Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen.

Wie kann es sein, dass mit Wohnraum spekuliert werden kann, dass es Hausverwaltungen und Eigentümer nicht mehr nötig haben, ihren Wohnungsbestand instandzuhalten, sie es nicht mehr nötig haben, eine vernünftige Kommunikation mit ihren Mietern zu unterhalten, sie Häuser entmieten können, um dann viel zu teuer in Eigentumswohnungen umzuwandeln?

An all das nehmen wir gerade teil.

Unser Haus wurde, wie viele andere Häuser in den vergangenen Jahren auch, 2004 vom öffentlichen in den privaten Wohnungsmarkt verkauft. Seitdem wurde es nicht mehr unterhalten, selbst die Schornstein- und Ofenwartung erfolgte nicht mehr. Der Bezirksschornsteinfeger und das Bauaufsichtsamt in Kreuzberg haben seit mehr als einem Jahr von dieser Art der Unterversorgung Kenntnis, zumindest nach unserem Wissensstand erfolgte bis heute nichts. Nicht seitens der jeweiligen Eigentümer, nicht seitens des Bauaufsichtsamtes.

Jetzt haben wir seit zehn Wochen einen neuen Eigentümer, dessen Identität wir gar nicht kennen. Wir haben eine neue Hausverwaltung, die sich nahtlos in die o.g. Umgangsformen einreiht. Wir haben eine vom Eigentümer beauftragte "Mediatorin", die sich mit uns als Hausgemeinschaft nicht treffen möchte, aber an einzelne Mietparteien Informationen streut, dass saniert werden soll, Dachgeschoss, Fahrstühle, Balkone, dass Mieter auch gehen können, mit paar tausend Euro in der Hand, dass mittelfristig Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden.
Ein Architekt springt im Haus herum, auch mal mit Gerüstbauern, andere Geschichten erzählend, ohne dass wir von der Hausverwaltung in Kenntnis gesetzt werden. Diese schickt uns ein Schreiben, dass am folgenden Tag ein Gerüst aufgebaut wird und Baumaßnahmen beginnen. Ein Mietpartei und der Kinderladen im Vorderhaus erhalten Kündigungen, noch nicht ausgebaute Dachgeschosswohnungen und seit längerem leerstehende Wohnungen werden öffentlich zum Verkauf angeboten.
Ach ja, wenn wir selbst unsere Wohnungen kaufen, erhalten wir diese, in einem nicht saniertem Haus, schon zu einem Vorzugspreis von 2400/2700€ pro qm.
Und das in einem ehemaligen Sanierungsgebiet, welches heute nachwievor unter "Milieuschutz" steht. Sind die o.g. Praktiken milieuerhaltende Maßnahmen?
Um nicht mißverstanden zu werden. Wir begrüßen ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Sanierungsmaßnahmen, die Kosten müssen den jeweiligen Einkommensverhältnissen entsprechend gerecht verteilt werden. Wir begrüßen eine partnerschaftliche Kommunikation der jeweiligen Miet- und Eigentümerparteien. Wir wollen Prozesse fördern, die eine nachbarschaftliche und nette Atmosphäre im Haus, im Kiez, in der Stadt schaffen.

Aber uns gibt es bald nicht mehr im Kiez, denn 250.000 €  hat niemand von uns. Und wenn wir die nicht haben, haben wir die Nerven, diesem Druck, den wir augenblicklich erfahren, standzuhalten? Und überhaupt, ist das alles rechtens? Kamine nicht mehr zu reinigen, Kinderläden rauszuschmeißen, langjährige Mietverhältnisse in Frage zu stellen, Wohnungen leer stehenzulassen???
Wir schauen uns um in unserer Stadt, in vielen Vierteln erfahren wir ähnliche Probleme der dort lebenden Menschen.
Ohnmacht, Resignation, aber auch Wut und Unverständnis darüber, dass unsere politischen Rahmenbedingungen, sowohl auf kommunaler, als auch auf bundesweiter Ebene  diese Art der Eigentumspolitik anscheinend wohl zulassen. Wer das Geld nicht hat, soll nicht mehr teilhaben, soll gehen, stört in unserem neuen innerstädtischen Bild, in dem nicht mehr das Soziale im Mittelpunkt zu stehen scheint, sondern nur noch das Ökonomische.

Wir geben unsere Stimmen an die demokratischen Parteien ab, damit im Sinne unseres demokratischen Grundverständnisses eine verantwortliche und sozial gerechte Politik gestaltet werden kann und erfahren immer mehr Schieflagen in dieser Gestaltung.
Wie kann es sein, dass es kaum noch bezahlbaren Wohnraum gibt?
Wie kann es sein, dass bei Neuvermietung Mieten grenzenlos erhöht werden können?
Wie kann es sein, dass in Berlin in bestimmten Bezirken Wohnungsknappheit nicht anerkannt wird?
Wie kann es sein, dass es Leerstand von Wohnungen gibt?
Wie kann es sein, dass nichts gegen Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen  auf politischer Ebene getan wird?
Wie kann es sein, dass Häuser und Wohnungen über Makler zum Verkauf angeboten werden können, ohne dass die Hausbewohner etwas davon erfahren?
Wann wird der Milieuschutz im Sinne des „Milieus“ tätig?
Wann wird die Landesregierung im Sinne des Milieuschutzes tätig?

Aber wir haben die Hoffnung in unsere Demokratie noch nicht verloren, warum sonst würden wir bei Ihnen vorstellig werden, im Gegenteil, wir möchten Sie mit diesem Bewusstsein ermutigen, an unseren augenblicklichen Sorgen teilhaben zu dürfen.

Im Sinne einer baldigen Antwort

die Bewohnerinnen und Bewohner
der Willibald-Alexis-Str. 34
c/o  Stefan Thiele


Kopie an:
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung , Fr. Junge Reyer
Dr. Franz Schulz  Bezirksbürgermeister Friedrichshain-Kreuzberg
Fraktionen des Abgeordnetenhaus Berlin: CDU, FDP , SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke
Landesverbände der der o.g. Parteien
Berliner Morgenpost, Tagesspiegel, TAZ, Junge Welt, Neues Deutschland, Berliner Kurier, BZ , RBB  Mieterverein, Mietergemeinschaft, Mieterbund Kreuzberger Chronik, Kreuzberger Horn, Kiez und Kneipe, und diverse Andere.

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